Obstkorb, nein Danke! – Was sich hinter „Quiet Quitting“ verbirgt

Autor: Isabell Witte

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Allgemein

4 Min. Lesezeit

Der Kampf um Fachkräfte und motivierte Quereinsteiger

Welcher Arbeitnehmer kennt sie nicht? Die Vorteile, mit denen sich die Arbeitgeber am Markt einen Wettkampf liefern. Kaum ein Unternehmen, dass seinen Mitarbeitern keine Vorteile aufzuzählen weiß:

Homeoffice-Option, Kickertische, Zuzahlungen für Fitnesscenter-Mitgliedschaften, Pausenraum mit Playstation und Gleitzeiten. Natürlich darf er auch nicht fehlen: Der Obstkorb – denn der ist obligatorisch geworden.

Jedes Unternehmen, welches eine gesunde Work-Life-Balance verspricht, hat ihn. Es gibt eine Vielzahl an Benefits, die Unternehmen ihren Mitarbeitern machen. In den letzten Jahren haben sich die Angebote auf den unzähligen Jobportalen geändert – zugunsten der Mitarbeiter. Noch nie waren die Möglichkeiten vielfältiger als heute. Selbst in Branchen, die als schwer „erziehbar“ gelten, sind „Muttischichten“ und „Arbeit auf Vertrauensbasis“ in den Unternehmen angekommen.

Woher kommt also der Trend, was wollen seine Anhänger bewirken?

Was man unter dem Begriff „Quiet Quitting“ versteht

Während meiner Recherche bin ich auf verschiedene Begriffe gestoßen, wie „inner Quitting“ und „Quiet Quitting“. Allen ist die anglistische Herkunft gleich und bei näherer Betrachtung gibt es keine ganz treffende Übersetzung für den Trend.

Der Versuch einer wörtlichen Übersetzung scheitert an der korrekten Wiedergabe des Trends. Innere Kündigung und stille Kündigung spiegeln nicht wider, was die Arbeitnehmer mit dieser mentalen Haltung fordern.

Kern der Bewegung ist es, sich nicht mehr für ein Unternehmen aufzuopfern und in den Burnout zu treiben.

Der Begriff “Quiet Quitting” wäre folgerichtig besser als “Arbeit nach Vorschrift” zu verstehen. Mit dieser Erkenntnis bin ich nicht allein, denn in den Medien wird auch der Begriff heiß diskutiert. Sogenannte „Kritiker“ bemängeln zu Recht eine fehlende Definition, welche die Basis für eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema darstellen würde.

Wo der Trend seinen Ursprung hat

In einer Leistungsgesellschaft kann es sich ein Arbeitnehmer nicht leisten „keine 100%“ zu geben oder den Ansprüchen nicht zu genügen.

Es gibt sehr viele quälende Gedanken, die ich hier aufzählen könnte. Alle beschäftigen sich mit einem Grundgedanken: Was passiert, wenn ich den Anforderungen nicht gerecht werde?

In den unzähligen Kommentaren über Artikel zu diesem Thema habe ich etwas sehr Interessantes gelesen: Der Ursprung sei aus Amerika zu uns in die europäischen Gefilde herüber „geschwappt“, denn dort seien ein lückenloser Lebenslauf und sehr gute Empfehlungen von Arbeitgebern essenziell für das „Überleben“ auf dem Arbeitsmarkt. Die Folge bei einem fehlenden Sozialsystem sei es, dass sich Arbeitnehmer bis hin zur Erschöpfung engagieren, nur um abgesichert zu sein.

Der Auslöser für das “Arbeiten nach Vorschrift” ist demnach kulturell bedingt und fordert sich damit eine gesunde Work-Life-Balance ein, die bei uns längst angekommen ist.

Mir stellt sich also die Frage, was Arbeitnehmer wirklich brauchen, um sich dauerhaft an einen Arbeitsplatz binden zu wollen. Reichen „Goodies“ und „Benefits“ jetzt nicht mehr aus, um auf der Arbeit zufrieden zu sein, darf es jetzt etwas weniger sein? Und wenn ja, weniger wovon?

Freizeit

Veraltete und neue Wertesysteme

Experten aus der Branche führen den Trend auf die Generation Z zurück. Das sind alle jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ihnen wird nachgesagt, nicht „belastbar“ und „unzuverlässig“ zu sein. Personaler sehen sich aufgrund einer neuen Arbeitnehmer-Generation anderen Herausforderungen gegenübergestellt. Die GenZ hat neue Vorstellungen davon, wie ein Arbeitsplatz gestaltet sein sollte. Der Fokus wird mehr auf flexible Arbeitszeiten, wie eine 3-Tage-Woche oder Homeoffice-Option gelegt. Das führt dazu, dass Arbeitgeber zunehmend interne Strukturen weiter aufweichen und mehr „Arbeit auf Vertrauensbasis“ anbieten oder neue Optionen wie Jobsharing (das Teilen einer Vollzeitstelle) entstehen.

Bedeutet es für den Obstkorb nun das Ende?

Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist der Wunsch nach mehr Freizeit eine Reaktion auf die Fehler der Elterngeneration: Sie haben miterlebt, wie unzufrieden ihre Eltern nach freiwilligen Überstunden nach Hause gekommen sind. Es wurde sich über fehlende Anerkennung geärgert „über das Maß hinaus“ gearbeitet zu haben, alles für den beruflichen Aufstieg.

Freizeit statt Vollzeit

Die GenZ haben den Dreh heraus und wollen keine „klassische Karriere“ mehr, sondern legen den Schwerpunkt auf ihr Privatleben. Quiet Quittung ist im Ursprung also nur ein Bewusstsein dafür, seinem Privatleben eine andere Priorität einzuräumen. Für diese neue Haltung könnte man aber eher eine positive Bezeichnung brauchen wie etwa: Selfcare-Working (Achtsamkeitsarbeit), um es vom negativen „Quiet Quitting“ genauer abzugrenzen.

Der Begriff hat in der Debatte gelitten und wird aktuell als Synonym für den Ausdruck mangelnder Anerkennung am Arbeitsplatz verwendet. Das Mittel zu dem frustrierte Mitarbeiter greifen würden, sei die “Arbeit nach Vorschrift”. Mir beantwortet es auch die Frage, wovon wir weniger brauchen: weniger Benefits und mehr Anerkennung.

Einfluss der sozialen Medien

Die Verlagerung weg von der „klassischen Karriere“ ist nicht einem kollektiven Mangel an Belastbarkeit oder fehlendem Interesse zuzuschreiben, vielmehr sollte man es aus der Perspektive junger Menschen betrachten, die sich täglich in einem Konkurrenzkampf mit anderen auf den sozialen Plattformen befinden.

Der Wunsch nach mehr Freizeit neben dem Hauptjob ist unter anderem auch dem „sozialen Druck“ geschuldet, medial präsent zu sein. Zudem stellen die sozialen Netzwerke nicht nur eine Flucht aus dem Alltag dar, sondern sind gleichzeitig ein Medium für eine „kreative“ Selbstverwirklichung.

Am Ende kann man als Fazit mitnehmen, dass der Arbeitsmarkt stetigen Veränderungen ausgesetzt ist und aktuell von einer neuen Grundhaltung beeinflusst wird – die meines Erachtens alters-unabhängig ist. Es wird die Zeit zeigen, ob sich das “Arbeiten nach Vorschrift” wirklich durchsetzten kann oder wir bald eher von “Selfcare-Working “sprechen.

Ich werde es weiter beobachten, und zwar von meinem Arbeitsplatz aus – mit Blick auf den Obstkorb.

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